Gestalten statt bewahren
Dag Encke über den Artenschutz im Klimawandel
„Es gibt keine idyllische Natur ganz ohne den Menschen mehr.“
Diese These äußerte Dr. Dag Encke, der Direktor des Tiergartens Nürnberg vor einem großen Publikum beim Wendelsteiner Forum. Der promovierte Zoologe ist ein Experte in Sachen Artenschutz und sprach in der Aula des Gymnasiums Wendelstein am 9. April über die Frage, wie wir unter den Vorzeichen des Klimawandels Artenschutz betreiben können.
Enckes Kernthese lautete, dass sich der Artenschutz angesichts des rasanten Klimawandels nicht mehr darauf beschränken kann, Schutzreservate z. B. für bedrohte Tiere abzugrenzen. Wissenschaftlich ist klar belegt, dass der Klimawandel alle Ökosysteme radikal verändert, wie Encke nüchtern aufzeigte. Er bedauerte, dass aktuell in der USA Forschungsdaten zum Thema Klimawandel vernichtet werden. Der Realität des Klimawandels müsse man sich stellen und Wege suchen, trotzdem Flora und Fauna zu schützen. Dazu könne sich der Mensch nicht mehr auf das „Bewahren“ beschränken, sondern müsse aktiv und nachhaltig gestalten.
An Beispielen erläuterte Dag Encke, welche Erfahrungen die Forschung derzeit macht. Einzelne Arten wie den La-Plata-Delfin oder die philippinischen Prinz-Alfred-Hirsche konnte man aus ihren bedrohten Lebensräumen entnehmen und anderswo ansiedeln. Für die gefährdeten Vaquita-Kleinwale aber kam die Hilfe zu spät, durch den Fischfang sind sie nahezu ausgerottet. Auch die Flora, also die Pflanzenwelt, verändert sich durch den Klimawandel, z.B. werden widerstandsfähigere Baumarten unsere heimischen Buchenwälder langfristig ersetzen. Hier müsse der Mensch vorausschauend eingreifen und gestalten.
Zoologische und botanische Gärten leisten einen großen Beitrag zum Erhalt der Biodiversität, so ist der Tiergartendirektor überzeugt. Hier können Reservepopulationen aufgebaut und später ausgesiedelt werden. Die Somali-Esel beispielsweise, die es im Nürnberger Tiergarten zu sehen gibt, sind in freier Wildbahn schon nicht mehr vorzufinden. Als Zoologe rechnet Encke in langen Dimensionen: Für die Progression einer Population veranschlagt man etwa 100 Jahre, muss also über den Lebenszyklus eines einzelnen Tieres weit hinaus denken. Durch Aussiedlung ist es u.a. gelungen, den Habichtskauz wieder in den Bayerischen Wald zurückzubringen.
Das Wendelsteiner Forum ist eine öffentliche Veranstaltung zu aktuellen Fragen des Gymnasiums Wendelstein in Zusammenarbeit mit der Katholischen Erwachsenenbildung Roth-Schwabach. An diesem Abend waren aus der Schulfamilie besonders die Schülerinnen und Schüler der 11. Klasse eingeladen. Sie konnten im Rahmen der Wissenschaftswoche lernen, wie man einen hervorragenden wissenschaftlichen Vortrag hält. Ausgehend von Begriffsklärungen (Wie definiert man eine Art?) und Darstellung der Methoden (Wie zählt man überhaupt Tiere?) argumentierte Dr. Encke auf der Basis internationaler zoologischer Forschung und zog daraus seine markanten Schlüsse zur Frage, wie wir Menschen künftig als Teil der Natur leben wollen. Encke appellierte dafür, Lebensräume nachhaltig zu nutzen und kreativ zu gestalten.
Der Referent freute sich über die Aufmerksamkeit des zumeist jungen Publikums und die kritisch-konstruktiven Fragen. Befragt nach der Delfin-Haltung im Tiergarten Nürnberg beschrieb er anschaulich, dass die Vorführungen der Delfine keine Shows sind. Die intelligenten Tiere lieben es, aktiv zu sein und durch positive Verstärkung zu lernen. Auf die Frage, wie weit sich der Mensch beschränken müsse, um Flora und Fauna zu schützen, bekannte der Zoologe: „Wir können die Entscheidung nicht gegen den Menschen treffen. Ich mag Tiere, aber Menschen mag ich am meisten.“
Deutlich spürbar war, dass der Funke zwischen Referent und Publikum übergesprungen war. Encke gab den Schülerinnen und Schüler der 11. Jahrgangsstufe mit, neugierig zu sein, viel und Vielfältiges zu lernen und beruflich nie das zu tun, was man überhaupt nicht tun wolle. Zum Schluss ermutigte Dag Encke die Jugendlichen: Angesichts ihres spürbar starken Interesses traue er ihnen zu, gute Lösungen für die Probleme der Zukunft zu finden.
Dr. Annegret Langenhorst (Text & Fotos)